Die Europäische Union soll bis 2050 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss auch die Immobilienwirtschaft mitziehen. Der größte Hebel zur Dekarbonisierung liegt dabei im Gebäudebestand. Um das Einsparpotenzial zu heben, braucht es allerdings neue Technologien und digitale Tools. Denn sie helfen, Einsparpotenziale zu erkennen, sinnvolle Strategien zu ermitteln sowie einen effizienten und sparsamen Gebäudebetrieb zu gewährleisten.
Die ökologische Transformation unseres Wirtschaftssystems ist wohl eine der größten Aufgaben unserer Zeit. Als Verursacher von rund 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes spielt die Bau- und Immobilienwirtschaft dabei eine wesentliche Rolle. Deshalb ist es umso wichtiger nicht nur beim Neubau auf Ressourceneinsparungen, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu setzen, sondern auch unseren Gebäudebestand fit für die Zukunft zu machen. In Deutschland wurde beispielsweise rund 80 Prozent des Wohnungsbestands bereits vor 1990 errichtet und ist somit mindestens 33 Jahre alt. Das bedeutet Dämmung und technische Anlagen entsprechen nicht mehr den aktuellen Standards. Der Bestand sollte deshalb zunehmend in den Fokus rücken und auf seine Potenziale zur Einsparung von CO2 hin analysiert werden. Dabei spielen digitale Tools eine entscheidende Rolle, um diese Potenziale zu erkennen und zu heben.
EU macht Druck
Bereits mit der Einführung der ESG-Regulierung ab 2021 (Offenlegungsverordnung, Taxonomieverordnung) hat die EU den Grundstein für ein nachhaltiges Finanzwesen und Investieren durch die Kennzeichnung grüner Finanzprodukte gelegt.
Im März 2023 hat das EU-Parlament nun nachgelegt und einen neuen Richtlinienentwurf verabschiedet, der vorsieht, den Energieverbrauch aller Wohngebäude in der Europäischen Union vergleichbar zu machen und zu senken. Ähnlich wie bei Elektrogeräten soll dazu ein Effizienzklassensystems eingeführt werden, das von A bis G reicht und beschreibt, wie viel Energie ein Haus verbraucht. Effizienzklasse A steht dabei für ein Null-Energie-Gebäude, G beschreibt die im Hinblick auf den Energieverbrauch schlechtesten 15 Prozent des Gesamtbestands. Ziel ist, dass bis 2030 alle Wohngebäude mindestens die Effizienzklasse E erreichen und bis 2033 die Effizienzklasse D.
Der Gebäudesektor wird in Sachen Nachhaltigkeit also immer stärker in die Pflicht genommen. Und das wird nicht billig. Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilieneigentümer rechnet mit einem jährlichen Investitionsvolumen von mindesten 125 Milliarden Euro, um allein den Wohnungs- und Einfamilienhausbestand so zu sanieren, dass dieser die neuen Anforderungen an die Energieeffizienz erfüllt.
Potenziale schlummern im Bestand
Sollten Investoren und Immobilienbesitzer also den Hammer rausholen und ihren Bestand einmal komplett durchsanieren? Wohl eher nicht, denn bei solch hohen Investitionssummen ist eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Abwägung vonnöten. An aller erster Stelle ist es deshalb ratsam, eine Potenzialanalyse der Gebäude durchzuführen:
- In welcher Energieeffizienzklasse liegt ein Gebäude?
- In welchem baulichen Zustand befindet sich ein Gebäude? Wie ist das Gebäude gedämmt, Welche Fenster und Türen sind verbaut? Wie ist das Dach isoliert?
- Welche Heizungsanlage ist verbaut?
- Wie modern und in welchem Zustand sind die übrigen technischen Anlagen?
- Hat das Gebäude Potenzial zur Nachrüstung von Solar- oder Photovoltaik-Anlagen oder zur Dachbegrünung?
Mit den relevanten Gebäudedaten kann dann analysiert werden, welche Investitionen den größten Nutzen nach sich ziehen und damit sowohl aus Nachhaltigkeits- als auch aus kaufmännischer Perspektive am sinnvollsten sind.
Wo kann mit welchem monetären Aufwand welcher Effekt erzielt werden? Müssen gleich Fassade und Dach gedämmt, neue Fenster und Türen eingebaut werden, oder reicht es vielleicht schon aus, die Heizungsanlage zu optimieren oder auszutauschen?
Flaschenhals Gebäudedaten
Leider fehlt es für solche wichtigen Analysen häufig an den relevanten Daten. In vielen Fällen gleicht der Bestand nämlich einer Blackbox, weil Daten über die Jahre nicht erfasst oder bei einem Eigentümerwechsel verlorengegangen sind.
Um Gebäude nachhaltig zu transformieren sind digitale Tools deshalb mittlerweile unerlässlich. Sie helfen nicht nur beim systematischen Erfassen, Sammeln, Zusammenführen, Aufbereiten und Auswerten von Gebäude- und Verbrauchsdaten. Es bietet sich vielmehr ein breites Einsatzfeld, über das wir im Folgenden einen kurzen Überblick geben:
Digitale Baustoffkataster
Häufig liegen für Bestandsgebäude keinerlei Informationen zu den verwendeten Bauteilen und Materialien vor. In diese Lücke stoßen Anbieter digitaler Baustoffkataster. Mittels alter Planungsunterlagen, Vermessungen und 3-D-Scans helfen sie dabei, nachträglich die verbauten Stoffe eines Gebäudes zu erfassen. Alternativ, aber weniger präzise, kann anhand von Baujahr, Ort, Kubatur und Gebäudetypus eine auf Erfahrungswerten beruhende Schätzung durchgeführt werden.
Für Bestandshalter bietet der Überblick über die verbauten Materialien eine Grundlage, um zu analysieren, welches Potenzial zur energetischen Sanierung in ihrem Portfolio steckt. Wo sollten Fassaden und Dächer gedämmt, wo sollten neue Fenster eingebaut werden? In welchen Gebäuden ist es sinnvoll die Heizungsanlage auszutauschen? Wo könnte sogar auf Wärmepumpe, Geothermie und/oder Solaranlage umgestellt werden?
Projektentwicklern und Bauträgern liefert das digitale Baustoffkataster eine Übersicht, wo Gebäude zum Abriss stehen und welche Ressourcen somit für Neubau- oder Sanierungsprojekte zur Verfügung stehen. Außerdem bedeutet der Aufbau eines Baustoff-Katasters ein Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft. Denn nur wenn bekannt ist, was in einem Gebäude steckt, können die einzelnen Komponenten auch einer Wiederverwendung zugeführt werden.
Smart Meter und der Faktor Mensch
Wohl die wenigsten Menschen haben einen Überblick über die eigenen monatlichen Verbräuche. Das macht das Thema Nachhaltigkeit sehr abstrakt. Ein Weg, mehr Transparenz hinsichtlich des eigenen Verbrauchs zu schaffen, verspricht die Installation von Smart-Meter-Geräten in Bestandsgebäuden. Diese intelligenten Strom-, Gas- und Wasserzähler empfangen und senden Daten und sind zu diesem Zweck in ein digitales Kommunikationsnetz eingebunden. Gesendet werden Messdaten zum Verbrauch, empfangen werden beispielsweise Informationen zu Tarifen.
Smart Meter liefern Versorgern einen präzisen und tagesaktuellen Überblick über Verbräuche, sodass sie die Bereitstellung daran anpassen können. Immobiliennutzer erhalten durch Smart Meter einen tagesaktuellen Einblick in den eigenen Verbrauch, statt wie üblich einmal jährlich eine Nebenkostenabrechnung. Dieses hohe Maß an Transparenz versetzt sie in die Lage, ihren Verbrauch zu optimieren. Zum einen, indem sie ihr Verhalten leichter anpassen können, da sie die direkten Konsequenzen ihres Handelns – in Form einer konkreten Zahl zum tatsächlichen Verbrauch von Strom, Gas oder Wasser – vor Augen geführt bekommen. Zum anderen, indem sie einfacher Geräte mit sehr hohem Verbrauch identifizieren und austauschen können.
Da Smart Meter jedoch noch nicht weit verbreitet sind, stehen vielen Immobiliennutzern bisher keine dieser Auswertungsmöglichkeiten zur Verfügung. Hier können alternativ Stromspar-Apps Abhilfe leisten. Sie bieten die Möglichkeit, eigenständig die Zählerstände für Energie, Wärme und Wasser digital zu erfassen, zu analysieren und zu visualisieren, geben Tipps zum Sparen von Wasser und Energie sowie Hinweise zu Fördermitteln rund um das Thema Energieeffizienz.
Smart Building
Eine intelligente Gebäudesteuerung trägt dazu bei, Energie zu sparen, indem sie beispielsweise dafür sorgt, dass Licht nur dort brennt, wo sich Menschen aufhalten, dass sich im Sommer die Jalousien automatisch absenken, damit sich das Gebäude nicht unnötig aufheizt, oder dass Heizungsanlagen in ihrem Effizienz-Optimum laufen. Dazu müssen Gebäudesensoren angebracht werden, die dem System Daten zu verschiedenen Verbräuchen, der Nutzung der Immobilie, der Gebäudetechnik sowie der Umgebung zur Verfügung stellt. Aus diesen Informationen kann das System mittels intelligenter Algorithmen Nutzergewohnheiten und Muster analysieren, die beispielsweise für eine intelligente, energiesparende Beheizung, Belüftung, Beleuchtung oder den Fahrstuhlbetrieb genutzt werden können.
Digitalisierung haustechnischer Anlage und Predictive Maintenance
Eine effiziente Betriebsführung von Heizungsanlagen kann den Energieverbrauch um durchschnittlich mehr als zehn Prozent senken, besagt der Ergebnisbericht des BaltBest-Forschungsprojektes der Allianz für einen klimaneutralen Wohnungsbestand. Die Möglichkeit, dieses Einsparpotenzial auch zu heben, können allerdings nur digitale Tools gewährleisten, da die Betriebsführung stetig überwacht und optimiert werden muss.
Auch die Überwachung von Prüfzyklen und der korrekten Funktionsfähigkeit der übrigen haustechnischen Anlagen, wie beispielsweise Beleuchtung, Aufzugssystem, Lüftungs-, Alarm- und Gegensprechanlagen, bietet Potenzial, um Energie und damit CO2 einzusparen. Die vorausschauende Instandhaltung, gemeinhin unter dem Begriff Predictive Maintenance bekannt, ermöglicht es, anhand von Daten, die von Sensoren an den jeweiligen Anlagen geliefert werden, eine Risikoeinschätzung durchzuführen, um den idealen Zeitpunkt für eine Instandhaltungs- oder Wartungsmaßnahme zu bestimmen. So kann sichergestellt werden, dass die technischen Anlagen in einem Gebäude in ihrem Betriebsoptimum laufen und eine lange Betriebsdauer haben.
May 17, 2023 2:56:56 PM